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Stadt Zürich
06.06.2022
29.12.2022 11:09 Uhr

Kontroverse um Gesuchsflut der «mediterranen Nächte»

Bild: Eines von 159 Beispielen: Das «Santa Lucia» am Paradeplatz – von der Bindella-Gruppe – will temporär auch wirten bis um 2 Uhr nachts. Bild Lorenz Steinmann
159 Restaurants und Bars wollen sechs Sommer-Wochenende zusätzlich bis 2 Uhr nachts offen haben. Die Meinungen darüber gehen völlig auseinander.

Der Mai war in Zürich so heiss wie noch nie, seit man Messungen macht. Temperaturen über 30 Grad gab es öfters, entsprechend warm war es auch nachts. Diese Tendenz begünstigt die Idee, an lauen Sommerabenden länger draussen zu sitzen und noch etwas zu konsumieren. Kein Wunder also, wünscht sich die Mehrheit des Gemeinderats schon seit Jahren einen Versuch mit längeren Öffnungszeiten von Gartenbeizen und sogenannten Boulevardcafés bis 2 Uhr morgens an sechs Wochenenden im Sommer.

Deshalb startete die Stadt vor zwei Jahren ein Projekt mit dem Namen «mediterrane Nächte». Weil Rechtsmittel gegen die Verfügung eingereicht wurden, brach man die Übung nach kurzer Zeit ab, wie die NZZ kürzlich berichtete. Sie machte auch die Zahl von 159 Restaurants publik, welche dieses Jahr mitmachen wollen. Das sind massiv mehr als noch 2020.

Die ganze Liste wurde am 18. Mai im «Tagblatt» veröffentlicht. Auffällig ist, dass auch viele Speiserestaurants mitmachen, beispielsweise «Santa Lucia»-Beizen der Bindella-Gruppe, das Bauschänzli, die Bierhalle Wolf, die Brasserie Dupont, das Restaurant Metropol, das Zunfthaus zur Zimmerleuten, einige Gastrobetriebe um den Idaplatz, die «üblichen Verdächtigen» im Kreis 4 inklusive Kosmos, Longstreet, Volkshaus und Kafi Bank sowie Frau Gerolds Garten und das Bohemia. 63 Betriebe sind es allein im Kreis 1, im Kreis 3 aber sind es lediglich 11 Restaurants, im Gebiet ennet des Milchbucks macht sogar nur das trendige Venus Bistro in Oerlikon mit.

«Gastronomie war erfolgreich»

Entsprechend unterschiedlich reagieren die Quartiervereine. Am meisten betroffen ist das Gebiet des Quartiervereins Zürich 1 rechts der Limmat. Präsident Felix Stocker zeigt sich auf Anfrage nicht erstaunt von der Gesuchsflut: «Die hohe Zahl überrascht uns nicht. Die Gastronomie lobbyiert seit Jahren für eine Ausweitung der Öffnungszeiten. Jetzt hat sie es geschafft und macht rege Gebrauch davon. Dies auf Kosten der Bewohnerinnen und Bewohner», so der ehemalige SP-Gemeinderat.

Er kritisiert zudem das Vorgehen der Stadt, dass neuerdings gegen jeden einzelnen Betrieb eine Einsprache eingereicht werden müsste. «Dies ist für uns mit riesigem Aufwand und enormen Kosten verbunden. Für die Gastrobetriebe hingegen ist die Bewilligung ganz einfach zu erlangen und kostenlos», findet Stocker. Man sei aktuell daran, die Einsprachen zu planen.

Pro Einsprache wird mit Kosten von mindestens 400 Franken gerechnet. Zeit haben Stocker und seine Mitstreiter der Vereinigung «Innenstadt als Wohnquartier» bis Mitte Juni mit den Einsprachen. Zur erwähnten Vereinigung gehören neben dem Quartierverein von Felix Stocker der Quartierverein Selnau-City, der Quartierverein Aussersihl-Hard sowie der Einwohnerverein Altstadt links der Limmat.

«Austausch sehr positiv»

Einiges gelassener sieht das Projekt mit den längeren Öffnungszeiten Urs Rauber, Präsident des Quartiervereins Wiedikon. Zwar hat ihn die hohe Zahl an Bars und Restaurants, die am Versuch teilnehmen wollen, «sehr überrascht», wie er sagt. «Schaut man allerdings die städtischen Standorte genauer an, befinden sich über 70 Prozent der Lokale in den Kreisen 1 und 4 – das sind die klassischen Ausgehmeilen. Die Hälfte der Stadtkreise ist mit drei oder weniger Betrieben praktisch nicht betroffen», zieht er ein Fazit.

Auch im Kreis 3 seien die 11 gesuchstellenden Beizen praktisch ausschliesslich im Gebiet Sihlfeld, rund um den Idaplatz und die Weststrasse zu finden, keine in Alt-Wiedikon und keine im Friesenberg. «Unser Quartierverein plant deshalb keine Einsprachen, weil es ja um ein befristetes Pilotprojekt von sechs Wochenenden geht, bei dem Erfahrungen gesammelt werden sollen», betont Rauber.

Der Austausch und die Kooperation mit dem Sicherheitsdepartement, mit Gastro Zürich und mit der Bar und Club Kommission sei «für uns Quartiervereine sehr positiv» gewesen, hält Rauber fest und meint damit laut eigenen Angaben, «seinen» Quartierverein Wiedikon sowie «drei andere Quartiervereine der Kreise 1, 4 und 5». Wie es scheint, ist die Kritik dort grösser, wo die Betroffenheit zunimmt. Dies trifft auch auf die Beurteilung der von der Stadt vorgesehenen flankierenden Massnahmen zu.

Für Urs Rauber ist klar: «Zu den flankierenden Massnahmen der Stadt gehören neben der Hotline, Lärmmessungen und Info-Plakaten auch folgende Auflagen: keine Bewilligung für Innenhöfe, keine Lautsprecher im Freien, patrouillierende Securitas-Teams und polizeiliches Monitoring. Mir persönlich scheint der Versuch damit sorgfältig begleitet zu werden.»

Für Felix Stocker sind die Begleitmassnahmen nicht mehr als «Pfläschterlipolitik»: «Die Hotline soll nicht von der Stadt, sondern von Gastro Züri betrieben werden. Diese hat weder irgendwelche Befugnisse noch ein Interesse an den Wohnquartieren.» Und weiter: «Wir gehen nicht davon aus, dass diese Massnahmen etwas zur Abschwächung der Zusatzbelastung beitragen, die von den ‹mediterranen Nächten› ausgeht.»

«Nicht überrascht»

Matthias Ninck, Mediensprecher vom federführenden Sicherheitsdepartement, zum Thema: «Das Sicherheitsdepartement ist nicht überrascht von der Anzahl der Gesuche. Schon im Gemeinderat wurde die Idee von links bis rechts unterstützt. Manche Leute freuen sich, wenn sie in warmen Sommernächten länger draussen sitzen können.»

Auch die Kritik an der Einsprachepraxis lässt er nicht gelten: «Wir haben die Einsprachepraxis bewusst geändert. Es soll, wenn schon, nur dort rekurriert werden, wo jemand von einer verlängerten Öffnungszeit auch betroffen ist.»

So oder so ist also mit einem heissen Sommer zu rechnen.

Lorenz Steinmann
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