Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland
Ausland
27.03.2023
27.03.2023 15:36 Uhr

«Hier sehe ich grosses Potential für eine noch engere Zusammenarbeit»

Nach zwölf Jahren im Ausland steht für Anja Zobrist Rentenaar (53) im Sommer die Rückkehr nach Bern bevor.
Nach zwölf Jahren im Ausland steht für Anja Zobrist Rentenaar (53) im Sommer die Rückkehr nach Bern bevor. Bild: Anna-Sofia Schaller
Anja Zobrist Rentenaar (53) vertritt die Schweiz als Botschafterin in Helsinki. Im Gespräch beleuchtet die Diplomatin die langjährigen Beziehungen zwischen der Schweiz und Finnland und äussert sich zu den aktuellen Tagesthemen im Nordstaat: dem Nato-Beitritt und den Parlamentswahlen.

Anna-Sofia Schaller

Anja Zobrist Rentenaar, Sie sind das dritte Jahr als Botschafterin in Helsinki tätig. Wie hat Sie Ihr beruflicher Weg hierhergeführt?

Ich habe an der Universität Bern und am Collège d’Europe in Brügge Wirtschaft, Politologie und Völkerrecht studiert. Meine erste Stelle war im damaligen Bundesamt für Aussenwirtschaft, dem heutigen Staatssekretariat für Wirtschaft. Anschliessend war ich unter anderem in Jakarta, New York, Den Haag und Ottawa im diplomatischen Dienst. Und natürlich im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten in Bern.

Welchen Aufgaben gehen Sie in Ihrem Arbeitsalltag nach?

Unser Aufgabengebiet deckt das ganze Spektrum der diplomatischen Interessenwahrung ab und umfasst die politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen mit Finnland. Wir organisieren auch Besuche und begleiten Delegationen aus Bern. Im Kulturbereich organisieren wir oder beteiligen wir uns an Anlässen mit Schweizer Autoren oder Künstlern.

Die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Finnland reichen ins Jahr 1914 zurück. Im Schnelldurchlauf – wie hat sich das Verhältnis entwickelt?

1914 hat die Schweiz ein Konsulat in der früheren Hauptstadt Turku eröffnet und hat Finnland 1918 als eines der ersten Länder nach dessen Unabhängigkeit anerkannt. Während des Kalten Krieges waren die Beziehungen durch den gemeinsamen Neutralitätsstatus und der Zusammenarbeit mit der Europäische Freihandelsassoziation, Efta, besonders eng. 1995 trat Finnland dann der EU bei und bezeichnete sich nicht mehr als neutraler Staat. Nichtsdestotrotz unterhalten die beiden Länder enge und freundschaftliche Beziehungen.

Wie wichtig sind diese Beziehungen für die Schweiz?

Finnland ist ein wichtiger Partner der Schweiz. Einerseits auf bilateraler Ebene, wo wir etwa im Bereich der Friedenspolitik, der Wissenschaft oder Sicherheitsfragen eng zusammenarbeiten. Auch auf multilateraler Ebene ist die Zusammenarbeit traditionell sehr gut, wie etwa bei der Reform des Uno-Sicherheitsrates oder im Menschenrechtsbereich.

Wie steht es um die Handelsbeziehungen zwischen Schweiz und Finnland?

Der bilaterale Handel beläuft sich auf gut zwei Milliarden Schweizer Franken. Die rund 140 in Finnland ansässigen Schweizer Unternehmen beschäftigen gut 14'500 Personen.

Welche Ziele vereinen die beiden Länder?

Beide Länder wollen in den Bereichen Bildung, Innovation und Forschung eine Spitzenposition belegen. Zudem setzen sich beide Länder für eine nachhaltige Entwicklung ein – Finnland will bis 2035 klimaneutral werden, die Schweiz bis 2050.

Welche Entwicklungen zeichnen sich in den kommenden Jahren ab?

Finnland verfügt über einen starken und wettbewerbsfähigen Forschungs- und Wissenschaftssektor. Dieser ist für die Schweiz sehr interessant. In Sachen Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Quantencomputer und Kreislaufwirtschaft ist Finnland weit voraus. Hier sehe ich grosses Potential für eine noch engere Zusammenarbeit.

«Wir beobachten die Wahlen sehr genau und sind gespannt, ob sich die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Sanna Marin wieder als stärkste Kraft behaupten können.»
Anja Zobrist Rentenaar

Zum Schluss noch etwas Aktuelles: Am 2. April wählt Finnland ein neues Parlament – hat die Wahlkampfstimmung auch die schweizerische Botschaft erfasst?

Wir beobachten die Wahlen sehr genau und sind gespannt, ob sich die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Sanna Marin wieder als stärkste Kraft behaupten können. Zurzeit liefert sich die Partei ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der liberal-konservativen Sammlungspartei und der rechtspopulistischen Partei der Wahren Finnen. Wie der Ausgang auch sei: Die guten Beziehungen zwischen der Schweiz und Finnland werden nicht tangiert.

Auch die Nato-Verhandlungen bestimmen die politische Tagesordnung in Finnland – wie nehmen Sie die Stimmung wahr? 

Letzten Frühling war die Situation sehr angespannt. Man sah sich mit einer Situation konfrontiert, die man so nicht vorausgesehen hatte. Aufgrund der gemeinsamen Geschichte ging man in Finnland davon aus, ein besonderes Sensorium für die russische Gemütslage zu haben.

Wie ist die Lage heute?

Unterdessen zeigt man sich hinsichtlich der Bedrohung aus Russland entspannt. Vor allem in der Gewissheit, dass Russland keinen Mehrfrontenkrieg führen kann. Zudem hat Finnland von vielen Ländern Sicherheitsgarantien erhalten. Mit dem angekündigten grünen Licht aus der Türkei und Ungarn liegt nun auch der Nato-Beitritt in Greifweite.                                                          

Wird sich der finnische Nato-Beitritt auf die schweizerisch-finnischen Beziehungen auswirken?

Ich erwarte da keine grossen Veränderungen. Im Bereich der Sicherheit werden wir im bisherigen Rahmen weiterhin eng zusammenarbeiten. Wie sich Finnlands Nato-Beitritt längerfristig auf die Beziehungen der Schweiz zur Nato auswirkt, insbesondere im Rahmen der «Partnership for Peace», bleibt abzuwarten.

Unsere Frau in Helsinki

Anna-Sofia Schaller hat bei unserer Zeitung ein Praktikum absolviert und studiert nun während eines Auslandsemesters in Helsinki Philosophie. In einer losen Serie berichtet die schweizerisch-finnische Doppel­bürgerin über ihre Erlebnisse und das Leben in Helsinki.

Anna-Sofia Schaller