Karin Steiner
Im Altarraum der Bühlkirche, in der Els Biesemans seit 13 Jahren als Organistin tätig ist, steht der Original-Hammerflügel von Broadwood aus dem Jahr 1835 bereit für die Konzerte, die im Rahmen des Zürcher Fortepiano Festivals «Flügelschläge» am 9. und 12. November hier stattfinden werden. Liebevoll schlägt die Solistin ein paar Töne an und schwärmt von dem Instrument, dessen Hämmer mit Leder statt mit Filz bezogen sind und in das kein gusseiserner Metallrahmen eingebaut ist, wie es bei herkömmlichen Flügeln der Fall ist. «Die Akustik in dieser Kirche mit der Holztäferdecke ist hervorragend und für den Hammerflügel besonders geeignet.»
Die gebürtige Belgierin hat nach ihrer Ausbildung zur Organistin und Pianistin in Basel eine Zusatzausbildung im Bereich der Forschung und Praxis alter Musik gemacht und beschäftigt sich intensiv mit den Künstlerkreisen des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts.
Innige Geschwisterliebe
Seit einigen Jahren schon setzt sie sich mit dem Leben und Werk von Fanny Hensel, der älteren Schwester von Felix Mendelssohn, auseinander, die in ihrem nur 41 Jahre dauernden Leben eine Fülle von Konzerten, Liedern und Texten hinterlassen hat. «Fanny hat als erste Komponistin die zwölf Monate des Jahres vertont», sagt Els Biesemans. «Sie war die Tochter einer reichen jüdischen Familie und wurde zwar musikalisch gefördert, durfte aber ihre Werke nicht veröffentlichen, weil sich das für eine Tochter aus gutem Hause nicht geziemte.» Weil die begabte junge Frau ihre Kompositionen lange nur für den Privatgebrauch verstand, habe sie sich in Bezug auf kompositorische Technik eine grosse Freiheit bewahrt und sich modernere, «krassere» Harmonien erlaubt als ihr Bruder.
«Die Geschwister standen sich sehr nahe. Fanny war für Felix eine Art Mentorin. Ihre Musik war sehr lebendig und virtuos, sie war eine temperamentvolle Frau.» Einmal habe Felix Mendelssohn vor der englischen Königin Viktoria unter anderen ein Lied aufgeführt, welches bei der Queen besonders grossen Anklang fand. Da gestand er, dass seine Schwester es geschrieben hatte. In jungen Jahren heiratete Fanny Mendelssohn den Maler und Illustrator Wilhelm Hensel, der sie in ihrem künstlerischen Schaffen unterstützte und ihre Notenblätter mit kunstvollen Illustrationen versah.
Fünf Konzertveranstaltungen
Felix Mendelssohn war ein weit gereister Mann, der die ganze künstlerische Prominenz, darunter auch Clara und Robert Schumann, zu seinem Freundeskreis zählte. Als «verehrungswürdigsten Künstler» und «ersten Musiker der Gegenwart» bezeichnete ihn Robert Schumann, der durch Mendelssohns plötzlichen Tod 1847 einen äusserst geschätzten Freund verlor. Els Biesemans lädt vom 2. bis zum 19. November das Publikum zu einer Reise in die Zeit und in die Poesie der klassischen Romantik ein und vermittelt im diesjährigen Fortepiano Festival «Flügelschläge» einen vertieften Eindruck vom Leben und Werk der vier Freunde Fanny Hensel, Felix Mendelssohn und Clara und Robert Schumann. Das Festival widmet diesen berühmten Komponistinnen und Komponisten fünf Konzertveranstaltungen: das Eröffnungskonzert in der Kirche St. Peter, ein Fortepiano-Rezital mit Els Biesemans, einen Liederabend mit Star-Sängerin Marie-Claude Chappuis im Kulturhaus Helferei, eine musikalisch-literarische Soiree mit Schauspielerin Mona Petri sowie eine Reihe von Klavierkonzerten mit dem Kammerensemble Elsewhere in der Bühlkirche mit anschliessender Ausstellung und dem Schlusskonzert mit Violinist Ilya Gringolts & Gringolts Quartet, wiederum in der Kirche St. Peter.
Original-Instrumente als Nische
Els Biesemans ist 1978 in Antwerpen, Belgien, geboren. Sie stamme aus einer unmusikalischen Familie, erzählt sie. «Mein Vater hatte einst eine Elektroorgel gekauft, aber nichts damit gemacht. Als kleines Kind begann ich, darauf die Lieder, die ich kannte, zu spielen. Meine Eltern unterstützten meine Freude an der Musik und schickten mich an die Musikschule, wo ich den ersten Orgelunterricht bekam.»
Nachdem sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hatte und ihre Ausbildung auf der Orgel und dem Klavier mit der höchsten Auszeichnung abgeschlossen hatte, kam sie in die Schweiz an die Schola Cantorum Basiliensis und spezialisierte sich auf alte Instrumente wie das Hammerklavier. Vier dieser wertvollen Antiquitäten nennt sie heute ihr Eigen.
Neben ihrer Tätigkeit als Organistin in der Bühlkirche organisiert die Wahlschweizerin zahlreiche musikalische Anlässe in der Stadt Zürich, unter anderem seit vielen Jahren das Festival «Flügelschläge», welches sie anfangs in kleinerem Rahmen alleine durchgeführt hat und dem seit fünf Jahren ein Kulturmanagement zur Seite steht.