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Stadt Zürich
26.01.2024
12.03.2024 19:06 Uhr

Ein Leben im Dienste Gottes: Der steinige Weg der ersten Stadtzürcher Pfarrerin

Sie war die erste «Pfarrerin» in der Stadt Zürich: Elise Pfister (1886–1944) hat während 25 Jahren in der Kirche Neumünster das Wort Gottes gepredigt.
Sie war die erste «Pfarrerin» in der Stadt Zürich: Elise Pfister (1886–1944) hat während 25 Jahren in der Kirche Neumünster das Wort Gottes gepredigt. Bild: Baugeschichtliches Archiv Stadt Zürich, Adolf Moser / Zentralbibliothek Zürich
ZEITREISE – Von der Bauerstochter zur ersten Pfarrerin der Stadt Zürich: Die Theologin Elise Pfister hat 1919 – vor nunmehr 105 Jahren – mit ihrem Stellenantritt in der Kirche Neumünster in Riesbach eine neue Ära eingeläutet. Vor 80 Jahren ist sie gestorben, ihr Vermächtnis aber hat ihren Tod überdauert.

Dominique Rais

Sie predigte vor über 100 Jahren in der Stadt Zürich als erste städtische Pfarrerin das Wort Gottes. Elise Pfister (1886 – 1944) ist als zweite Tochter des Zürcher Landwirts Jakob und dessen Frau Albertine in Horgen am Zürichsee aufgewachsen. Von 1902 bis 1906 besuchte sie das Seminar der Höheren Töchterschule in Zürich und war daraufhin während sieben Jahren als Lehrerin in Kappel am Albis sowie in Wil bei Dübendorf in der Dorfschule tätig. Ihre Erfahrungen als Pädagogin sollten sich für sie auf ihrem späteren Weg noch als äusserst wertvoll erweisen.

Pfisters Entscheid, ihre Tätigkeit ganz in den Dienst Gottes zu stellen, veranlasste sie schliesslich im Frühjahr 1914 dazu, dass sie sich als zweite Schweizerin überhaupt an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich immatrikulierte. Pfister tat es damit der Chemiker-­Tochter Rosa Gutknecht (1885–1959), die bereits im Jahr zuvor dort ihr Theologiestudium aufgenommen hatte, gleich.

Vier Jahre sollte es dauern, bevor Pfister am 3. März 1918 anlässlich des Sonntagsgottesdienstes in der Kirche Wip­kingen vor einem bis auf den letzten Platz gefüllten Gotteshaus ihre Probe­predigt abhalten durfte. In einem entsprechenden NZZ-­Artikel dazu wurde ihr attestiert, dass «die äusserst bescheiden auftretende Kandidatin» damals ihrer Aufgabe «in bester Weise gerecht» wurde. Ihr Ziel, als Pfarrerin zu arbeiten im Blick, schliesst Elise Pfister im Sommer 1918 nach vier Jahren mit dem Fakultätsexamen schliesslich ihr Theologiestudium ab.

Dienerinnen des göttlichen Worts

Noch im gleichen Jahr kam es in der Schweizer Kirchengeschichte zu einem absoluten Novum. «Die ersten beiden weiblichen Pfarrer Europas», titelte die «Schweizer Illustrierte» damals. Denn mit Elise Pfister und Rosa Gutknecht wurden am 27. Oktober 1918 die beiden ersten reformierten Schweizer Theologinnen, vom damaligen Zürcher Kirchen­rat Johannes Sutz in der Kirche St. Peter als Verbi Divini Ministrae – Dienerinnen des göttlichen Worts – ordiniert. Und wurden damit als die ersten Frauen überhaupt mit einem kirchlichen Amt betraut.

  • Mit ihrem Stellenantritt bei der Kirche Neumünster am 19. Januar 1919 – vor nunmehr 105 Jahren – war Pfister de facto nicht nur die erste Pfarrerin in der Stadt Zürich, sondern auch schweizweit. Bild: Reformierte Kirche Zürich
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  • Die Chemiker-­Tochter Rosa Gutknecht (1885–1959) hat zusammen mit Elise Pfister Theologie an der Universität Zürich studiert Bild: Gemeinfrei
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  • 400 Jahre nach der Antrittsrede des bekannten Reformators Huldrych Zwingli im Grossmünster predigten im Jahr 1919 Europas erste beiden Pfarrerinnen in der Stadt Zürich das Wort Gottes. Bild: Lorena La Spada
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  • Elise Pfister war während 25 Jahren als «Pfarrerin» für die Kirche Neumünster tätig. Bild: Baugeschichtliches Archiv Stadt Zürich, Adolf Moser / Zentralbibliothek Zürich
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Mit ihrem Stellenantritt am 19. Januar 1919 – vor nunmehr 105 Jahren war Pfister de facto nicht nur die erste Pfarrerin in der Stadt Zürich, sondern auch schweizweit. Und auch Gutknecht schrieb als erste «Pfarrerin» am Grossmünster Geschichte. Und das 400 Jahre nach der Antrittsrede des bekannten Reformators Huldrych Zwingli (1484 – 1531) im Grossmünster. Trotz des vermeintlichen Erfolgs der beiden Pionierinnen und obschon sie die Auf­gaben eines Pfarrers in ihren Kirch­gemeinden – Pfister im Neumünster in Riesbach und Gutknecht im Grossmünster – über­nahmen, waren sie jedoch offiziell nur Pfarrhelferinnen. Der Grund: das zur damaligen Zeit geltende Kirchengesetz.

Obwohl sich die Kirchensynode 1921 für die Zulassung von Frauen zum vollen Pfarramt aussprach, wurde der Entscheid kurz darauf vom Zürcher Regierungsrat, dessen Zustimmung für eine Revision der Kirchenverfassung notwendig gewesen wäre, verweigert. Möglich war dies, da die Zürcher Kirche dereinst als Staatskirche organisiert und ordentliche Pfarrstellen vom Kanton bezahlt wurden. Zudem war es eine Zeit, in der Frauen weder stimm- noch wahlberechtigt waren.

Obschon die Kirchgemeinde Neumünster gegen den Entscheid Rekurs beim Bundesgericht einreichte, blieb dieser ohne Erfolg. Daraufhin wurde die Stelle der Pfarr­helferin geschaffen. Da Pfister und später auch Gutknecht als Pfarrhelferinnen lediglich angestellt und nicht – wie für eine Pfarrstelle üblich – gewählt waren, war es ihnen in ihrer Funktion zwar möglich im Namen der Kirche zu wirken, formal konnten sie dies jedoch nur in Stellvertretung eines männlichen Kollegen.

Eine Stimme für Frauen in der Kirche

Ihrer Kirchgemeinde ist Pfister bis zuletzt treu geblieben. Erfüllung hat die Theologin nebst in ihren Predigt- und Seelsorge­diensten während ihrer 25-jährigen Tätigkeit als Pfarr­helferin in der Neumünster-­Kirche vor allem in der Arbeit mit Jugendlichen gefunden.

Von einer Operation, der sich Pfister in der Weihnachtszeit 1942 unterziehen musste, erholte sie sich nie mehr gänzlich. Trotz des steinigen Wegs blieb Pfisters Glaube, der nicht zuletzt auch in den Bibellesungen aus Kindheitstagen seinen Ursprung hatte, bis zuletzt unerschütterlich. Von der schweren Krankheit gezeichnet, starb Pfister schliesslich am 8. Februar 1944 im Alter von 58 Jahren.

Auch wenn sowohl Pfister als auch Gutknecht als Frauen zeitlebens das volle Pfarramt verwehrt blieb, so haben die beiden Frauen dennoch bedeutende Pionierarbeit im Kampf um die Gleich­stellung von Frauen im Pfarramt der evangelischen Kirche geleistet. Und so wurde mit der Inkraftsetzung des neuen Kirchen­gesetzes 1963 schliesslich das kirchliche Frauenstimmrecht im Kanton Zürich eingeführt und damit der Weg für künftige, voll­wertige Pfarrerinnen geebnet.

Zeitreise: eine historische Serie

Die historische Serie «Zeitreise» taucht ein in Zürichs Vergangenheit und greift die Geschichten von Menschen und geschichtsträchtigen Ereignissen längst vergangener Tage auf.

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Dominique Rais