Wer in einer verwinkelten Gasse ein Gourmetrestaurant erfolgreich betreiben will, muss entweder an jeder Ecke Werbung machen oder überdurchschnittlich gut sein. Der «Wunderbrunnen» in Opfikon feiert in diesem Jahr das 10‑jährige Bestehen und hat sich durch Beständigkeit ausgezeichnet. Das schlichte Gebäude, das von aussen kaum als Gourmetrestaurant wahrgenommen wird, ist ein Spagat zwischen alternativ und modern. Die Innenwände vermitteln einen modernen Beton-Look und die Tische sind mit alten Vorfenstern abgetrennt, um den Gästen eine gewisse Privatsphäre zu bieten. Der neue «Wunderbrunnen» eröffnete 2014 mit Roger Hirzel als Inhaber und seiner Frau Nadja Anliker als Gastgeberin. «Von 1995 bis 2003 war ich Präsident des Gewerbevereins und alle wollten sehen, was ich hier gemacht hatte», sagte Hirzel.
Restaurantführer kam auf den Geschmack
Auch der Restaurantführer «Gault-Millau» wurde neugierig und nahm das Restaurant bereits im zweiten Betriebsjahr mit 14 Punkten in die Liste der besten Schweizer Restaurants auf. Die Schweizer Ausgabe des «Gault-Millau» beurteilt jedes Jahr hunderte Restaurants, wobei die besten mit 12 bis 20 Punkten in den Restaurantführer aufgenommen werden. Entscheidend für die Bewertung sind Qualität und Frische der Produkte, eine professionelle Zubereitung und die Harmonie und Bekömmlichkeit der Kompositionen sowie nicht zuletzt auch die Präsentation der Gerichte. Die Punkte beziehen sich ausschliesslich auf die Küchenleistungen. Der Service, das Ambiente und die Weinkultur werden nur im Text beschrieben. «Ich wollte ein Restaurant mit einer ehrlichen, saisonal frischen Küche», betonte Hirzel und bemerkte, dass der «Wunderbrunnen» zu den wenigen Restaurants in der Region zählt, in denen noch täglich Rüebli gerüstet werden. Die Preise sind im Verhältnis mit vergleichbaren Zürcher Lokalen niedrig, während sie für Opfikon schon etwas höher liegen. «Wir haben in der Küche vier ausgebildete Köche beschäftigt», sagte Hirzel. Unter der Woche gibt es jeden Tag ein Mittagsmenü, das von den Geschäftsleuten sehr gut angenommen wird. «Wer einen Platz haben will, sollte dafür reservieren», sagte Hirzel. Die Restaurantauslastung liegt ansonsten bei etwa 80 Prozent.
Tritt in den Hintern zum Jubiläum
In diesem Jahr konnte der «Wunderbrunnen» das 10‑Jahr-Jubiläum feiern. Neun Jahre davon bekam das Haus 14 Punkte vom «Gault-Millau», was seine Beständigkeit ausdrückt. Auch in diesem Jahr kamen wieder die anonymen Testesser des bekannten Restaurantführers. Es war ein älteres Paar, das eines Abends à la carte bestellte und danach einen riesigen Aufstand im Restaurant vollzog, womit sie den übrigen Gästen unangenehm aufgefallen seien. In der Gastrokritik heisst es, dass der Gang mit der total versalzenen Seezunge und faden, verkochten Bratkartoffeln zurückgegeben wurden und auch das «Züri-Gschnätzlete» an zu dicker Rahmsauce und die Rösti die Salz-Toleranzgrenze deutlich überschritten hatten. Das Dessert «Himbeer-Überraschung mit Meringues» wurde zudem als glatte Enttäuschung gewertet, weil statt einer Panna cotta eine fade Schokocreme ohne Panna serviert worden sei. «Wir hoffen sehr, dass dieses Desaster eine Ausnahme bleiben wird», hiess es abschliessend in der Bewertung.
Laut den Vorgaben von «Gault-Millau» werden 13 Punkte für eine sehr gute Küche vergeben, die mehr als das Alltägliche bietet. Auf Anfrage des «Stadt-Anzeigers» versichert «Gault-Millau», von der Weinkarte des «Wunderbrunnens» immer sehr begeistert zu sein, aber vom Essen diesmal nicht. Die «desaströse Leistung» habe darin gegipfelt, dass die Tester die «krass versalzene Seezunge zurückgeben mussten», wobei der Kellner die Kritik akzeptierte habe. «Dass man so die Punkte nicht halten kann, liegt auf der Hand», so «Gault-Millau» weiter. «Die Note 13 ist in diesem Fall keine Auszeichnung, sondern eine Rückstufung.» «Gault-Millau» würde den «Wunderbrunnen» mögen und hoffe nächstes Jahr auf eine bessere Performance.
Keine konstruktive Kritik
«Meine Frau war gekränkt, als sie von der niederschmetternden Bewertung erfuhr», sagte Roger Hirzel und bemerkte, dass sie sich wie das schwarze Schaf in der Herde fühlte. «Die Qualität des Essens haben wir in den letzten Jahren sogar noch gesteigert», sagte Nadja Anliker, die das Feedback ernst genommen und mit den Köchen besprochen hat. Roger Hirzel betonte, dass in der Gastrokritik einiges schlichtweg gelogen sei. Als der Kellner keine andere Seezunge mehr anbieten konnte, weil sie an dem Abend oft bestellt wurde, hätten die Testesser alles weggeputzt und nichts zurückgegeben. Zudem stehe Panna cotta gar nicht auf der Dessertkarte. «Wenn die Kritik seriöser ausgefallen wäre, hätten wir uns mehr Gedanken darüber gemacht», sagte Hirzel.
Gute Gaststuben im Internet
«Der ‹Gault-Millau› hat sich mit dieser Bewertung selbst disqualifiziert», sagte Nadja Bühler, selbstständige Gastro-Coachin aus Arbon, die von Roger Hirzel hinzugezogen wurde. «Eine Kritik sollte konstruktiv und nicht vernichtend sein», betonte Bühler. Die Coachin kann sich vorstellen, dass die Testesser selbst in schlechter Stimmung waren. Im Testmodus könne sich dann eine gewisse Dynamik entwickeln, in der für die subjektive Meinung immer wieder eine Bestätigung gesucht werde. Sie kritisierte auch den erdrückenden Schreibstil der Bewertung. Als Desaster bezeichne der Duden einen katastrophalen Misserfolg oder ein Unglück. «Weil der Weinkeller nicht bewertet wird, ist der ‹Gault-Millau› eigentlich der falsche Restaurantführer für den ‹Wunderbrunnen› », betonte Bühler. Hirzel besitzt mit über 60 000 Flaschen mittlerweile einen der bedeutendsten Weinkeller der Schweiz. Zudem sind auf der Weinkarte, die vom Ausmass her eher einer Bibel gleicht, über 6000 Positionen aufgeführt. Davon kommen über 800 Weine von Schweizer Winzern und über 150 Weine werden offen ausgeschenkt. Der «Wunderbrunnen» ist eines der wenigen Restaurants, in denen auch kleine Mengen an hochwertigen Weinen probiert werden können. Durch die Coravin-Technik kann der Wein ohne zu entkorken der Flasche entnommen und weiter gelagert werden.
«Die Beurteilungen der Gastronomiebetriebe werden in den Internetforen mittlerweile höher eingeschätzt als die Momentaufnahmen der klassischen Restaurantführer», sagte Bühler. Hirzel bemerkte, dass sein Lokal auf Instagram mittlerweile über 51 000 Follower hat. Bei den Google-Rezension bekam der «Wunderbrunnen» bei 400 Bewertungen 4,6 von 5 möglichen Sternen und auch bei Lunchgate haben 199 echte Gäste in den letzten 365 Tagen 4,8 von 5 Sternen gegeben. Bei Tripadvisor wurde der Wunderbrunnen zudem als drittbestes von 48 Restaurants in Opfikon bewertet. «Der Weg in die gute Gaststube wird künftig wohl übers Internet führen», sagte Nadja Bühler.