Einst sprengte der 31er die Stadtgrenze und drang bis nach Schlieren vor. Seit der Verlängerung des Trams 2 fährt er noch bis Hermetschloo, einem Ort von 08/15-Bürogebäuden. Beim Farbhof zweigt er von der Badenerstrasse in die Hohlstrasse ab, die er für längere Zeit nicht mehr verlassen wird, und bedient zwei Stationen später, als einziger «grosser» Bus, den Bahnhof Altstetten. Ab dann durchfährt er den gleisfeldnahen Teil Altstettens, der in den letzten Jahren vielerorts in die Höhe wuchs und weiter wachsen wird. Noch nicht so weit ist die Weiterentwicklung des Schlachthofareals, an der der 31er vorbeifährt, bevor er bei der Haltestelle Herdernstrasse auf die ersten historischen Blockrandsiedlungen trifft.
Wo einst die Tramlinie 1 verkehrte
Ab diesem Punkt durchquert der 31er den gesamten Kreis 4. Nach dem Hardplatz erreicht er die Haltestelle Güterbahnhof, die noch nicht vom nahen Polizei- und Justizzentrum profitiert hat. Sie ist so unwirtlich wie der ganze viel befahrene Strassenzug. Nach der Überquerung des Seebahneinschnitts biegt er links ab und folgt damit dem Trassee der 1954 eingestellten Strassenbahn 1. Eine künftige Wiederbelebung dieser Linie ist langfristig angedacht, deshalb wird an dieser Ecke Zürichs nichts investiert, was je länger, je stärker auffallen wird. Beim Schöneggplatz biegt der Bus nach rechts und erreicht die Kreuzung Militär-/Langstrasse, wo der herbe Charme des früheren Arbeiterquartiers weiterbesteht. Nach dem Stop vor der Sihlpost bedient er mit Löwenplatz, HB und Central grosse Knotenpunkte des Zentrums.
Ab dem Kunsthaus nimmt der 31er die Route durch den Zeltweg. Hier ist er Alleinherrscher. Und hier folgt er – man glaubt es kaum – erneut der ehemaligen Tramlinie 1. Der Vorstadtstrasse entlang wuchs nach der Schleifung der Stadtbefestigung im Jahr 1834 ein bürgerliches Wohnquartier heran, von dem mehrere, zum Teil denkmalgeschützte Gebäude zeugen, unter anderen die Escherhäuser (Nr. 7–15), Wohnort Richard Wagners 1852 bis 1857, vis-à-vis das schmucke Haus zum Zeltgarten Nr. 10, dann das Doppelhaus Nr. 23/25, gleich anschliessend das Haus Nr. 27, in dem Gottfried Keller von 1882 bis zu seinem Tod 1890 lebte, oder auch das Haus des Bildhauers Louis Wethli mit seinem Figurenschmuck (Nr. 62) direkt bei der Haltestelle Sprecherstrasse. Alles in allem trifft man hier ein Freilichtmuseum des verstädterten Hottingen noch vor der Eingemeindung 1893 an.
Nach dieser Idylle, die allerdings durch starken Autoverkehr gestört wird, bedient der 31er die Knoten des Kreises 7: Kreuzplatz, Hegibachplatz, Klusplatz. Dort, wo bis 2017 die Endhaltestelle war, nimmt er Kurs auf Zürichs abgeschnittenstes Quartier, das vom Rest der Stadt durch zwei Tobel getrennte Witikon. Bei der berüchtigten Schlyfi bildet die Strasse im Wald eine Spitzkehre – ein Ort des Schreckens an kalten oder schneereichen Wintertagen. Bei der Schlyfi kann man ins Stöckentobel einsteigen und zum berühmten Elefanten spazieren. Hier ist ein beliebtes Revier für Pfadis und andere Freiluftfreunde.
Drei Stationen später macht der Bus vor dem Zentrum Witikon halt, wo das Quartier einkauft. Wir wenden uns aber Witikons geistigem Zentrum zu: An der südlichen Strassenseite ragt ein schmaler Kirchturm auf. Die Neue Kirche wurde 1957 fertiggestellt, nachdem im Zuge der Hochkonjunktur eine rege Bautätigkeit eingesetzt hatte. Heute jedoch müssen nicht neue Gotteshäuser erbaut, sondern alte umgenutzt werden. Die reformierte Kirche kann ihre Säle schon lange nicht mehr füllen. Im Zuge eines Architekturwettbewerbs ist ein Projekt ausgewählt worden, das vier Wohn- und Gewerbegebäude ins Areal um Kirche und Kirchgemeindehaus einfügt.
Es empfiehlt sich ein Abstecher zu einer weiteren Kirche. Fünf Minuten zu Fuss entfernt, an der Carl-Spitteler-Strasse, steht die grandiose Kirche Maria Krönung des weltberühmten Architekten Justus Dahinden (1925–2020), der hier in Witikon wohnte und arbeitete. Sie besitzt einen neoexpressionistischen Innenraum mit ineinander geschobenen Wänden, die sich im Altarbereich nach oben öffnen, was so dramatische wie berückende Lichteffekte ergibt.
Nun verlässt der 31er die Witikonerstrasse, biegt nach Südosten ab und erreicht, an der brandneuen, edlen Wohnüberbauung Verdiana vorbei, die Wendeschlaufe Kienastenwies. Der Blick der Aussteigenden geht auf das Gesundheitszentrum für das Alter Witikon – und in die Weite. Wir befinden uns immerhin auf 622 Metern über Meer, mehr als 200 Meter höher als das Bellevue. Hier bleibt oft auch der Schnee von gestern liegen.