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Stadt Zürich
09.07.2022
08.07.2022 09:47 Uhr

Geschichten und Geheimnissen von Zürichs Toten auf der Spur

Das älteste Krematorium der Schweiz: Einst im Juni 1889 eingeweiht, hat das Krematorium Sihlfeld schon vor langer Zeit seinen Betrieb eingestellt.
Das älteste Krematorium der Schweiz: Einst im Juni 1889 eingeweiht, hat das Krematorium Sihlfeld schon vor langer Zeit seinen Betrieb eingestellt. Bild: Stadt Zürich/Mischa Scherrer
Rund um den Friedhof Sihlfeld und seine Verstorbenen ranken sich so manche Geschichten und Geheimnisse. Besucher des Friedhofs Sihlfeld können diese nun erstmals mit Hilfe eines immersiven Audiorundgangs neu erleben.

Dominique Rais

Ein Mann trauert um seine Frau. Ein Mädchen um seine Mutter. Hinter den Mauern des grössten Friedhofs der Stadt, dem Friedhof Sihlfeld in Zürich-Wiedikon,haben seit seiner Eröffnung vor 145 Jahren Abertausende Tote ihre letzte Ruhe ge­funden. Und Angehörige einen Ort, um zu trauern, sich zu erinnern und derVergänglichkeit zum Trotz innezuhalten.

Als grösste Parkanlage der Stadt wird der Friedhof schon längt nicht mehr nur von Trauernden, sondern gleichermassen auch von Spaziergängern, Müttern mit Kinderwagen oder gar ganzen Gruppen frequentiert. Für viele bis anhin dennoch verborgen, können Friedhofsbesucher nun beim Gang zwischen Gräbern und Grünflächen mittels eines akustischen Rundgangs so manche Geschichten und Geheimnisse entdecken.

Zwischen Fiktion und Geschichte

Mit «Du und deine Ewigkeit» lädt das Friedhof-Forum Interessierte nun erstmals zu einer Audioführung auf dem Friedhof Sihlfeld. Der Audiowalk verspricht dabei die Entdeckung von Hintergründigem und Seltsamem ebenso wie von Poetischem und Vergessenem rund um den Friedhof Sihlfeld. Produziert wurde der Audiowalk von der Fachstelle Grabmal- und Friedhofkultur der Stadt Zürich zusammen mit dem Friedhof-Forum.

Bei «Du und Deine Ewigkeit» handelt es sich jedoch weder um einen klassischen Audio-­Guide noch um eine historische Führung, sondern vielmehr um eine erzählerische Reflexion über Erinnerung und Bestattungskultur. Ein Spiel mit der eigenen Wahrnehmung und dem Verhältnis zu Leben, Tod und Erinnerung. Auf der rund einstündigen, immersiven Friedhoferkundungstour wird Fiktives mit historischen Begebenheiten verbunden, so dass sich gehörte und gesehene Realität miteinander verbinden.

«Du und deine Ewigkeit» ist direkt via Spotify oder als MP3-Download auf der Webseite des Friedhof-Forums unter Audiowalk verfügbar.

Der Ruf eines Kauzes ertönt ganz in der Nähe. Von Forumplatz beim Haupteingang A geht es die grosse Zypressenallee entlang, an deren Ende ein Bauwerk von historischer Bedeutung thront – das älteste Krematorium der Schweiz. Einst im Juni 1889 eingeweiht, hat es schon vor langer Zeit seinen Betrieb eingestellt und wurde Mitte der 1930er-Jahre in eine Abdankungskappelle umfunktioniert. Derweil findet die Feuerbestattung von Zürichs Toten im Krematorium Nordheim statt.

Von Dichter bis Scharfrichter

Zurück auf dem Friedhof Sihlfeld, auf dem zahlreiche prominente Verstorbene begraben liegen. Unter ihnen der bekannte Dichter Gottfried Keller, ebenso wie Angehörige der Zürcher Henkersdynastie Volmar-­Steinfels, die sich einst im Schweizer Strafvollzug als Scharfrichter einen Namen machten.

«Zwanzig Jahre, dann wird ein Grabfeld aufgehoben. Die Ewigkeit dauert hier 20 Jahre», erklärt die Audiowalk-Spre­cherin. Nur Mietgräber können verlängert werden. Der Friedhofsgärtner hat auf dem Sihlfeld alle Hände voll zu tun. Denn auf den Sommer hin müssen 42'000 Begonien auf den Grabfeldern gepflanzt werden. Zudem gibt es jede Menge Grünflächen auf dem Friedhof, die es zu bewirtschaften gilt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Bestattungskultur einen Wandel erlebt hat.

Der Klang der Totenglocke

«Heutzutage erfinden viele ihre Art von Abgang, wünschen sich ihre Asche in den Bach gestreut, ins Meer, unter den Seelenbaum. Die enden oft in der Urne auf dem Schlafzimmerschrank – bis mal Zeit ist», erzählt die Sprecherin. Tatsächlich wird laut dem Stadtzürcher Co-Bestattungschef Rolf Steinmann etwa jede 20. Urne den Angehörigen übergeben. Noch 1980 gab es 82'317 Gräber und Nischen auf den insgesamt 19 städtischen Friedhöfen. Innert vier Jahrzehnten hat sich diese Zahl mehr als halbiert und lag per Ende 2021 gerade mal noch bei 35'661.

Der letzte Gang führt zum Platz des Trostes beim Eingang D, um einem Gespräch zwischen zwei alten Damen zu lauschen, die sich über den Tod unterhalten. Es wird Zeit zu gehen. Die Totenglocke erklingt. Heute nur noch ein Relikt, das an längst vergangene Tag erinnert, wurde sie einst allabendlich geläutet, um die Besucher aufzufordern, den Friedhof zu verlassen.

Dominique Rais